Krösche: „Wir haben in Deutschland vergessen, Spezialisten auszubilden“

Für die beiden abgelaufenen Länderspiele nominierte Julian Nagelsmann mit Debütant Nnamdi Collins lediglich einen Rechtsverteidiger. Viele Alternativen gibt es nicht. Eintracht Frankfurts Sportvorstand sieht im Nationalteam weitere Baustellen und fordert, im Nachwuchs weniger mannschaftsorientiert zu denken.

SGE-Sportvorstand bemängelt Nachwuchsarbeit

Frankfurts Nnamdi Collins zählte zu den am stärksten kritisierten Spielern bei der 0:2-Niederlage des DFB-Teams in der Slowakei am vergangenen Donnerstag. Sein Debüt begann mit einem Platz in der Startelf und endete schon nach enttäuschenden 45 Minuten mit der Auswechslung.

Markus Krösche nahm den 21-Jährigen am Montag in Schutz, der Tenor sei „unfair“ gewesen. „Er hat sein erstes Spiel gemacht. Da waren ganz andere Spieler auf dem Platz mit einem ganz anderen Erfahrungsschatz, die sicherlich nicht viel dazu beigetragen haben, dass Nnamdi gut reinkommt.“ Entsprechend sei es für den Verteidiger schwierig gewesen, das machte ihm der Sportvorstand bereits im persönlichen Gespräch klar. „Am Ende steht trotzdem drüber, dass er sein erstes A-Länderspiel gemacht hat. Wenn man seine Entwicklung in den letzten 18 Monaten sieht, ist sie herausragend.“

Dass diese Entwicklung Collins schon so früh in die Startelf unter Julian Nagelsmann spülte, liegt auch daran, dass dem Bundestrainer hinten rechts die Alternativen fehlen. Und Krösche sieht weitaus mehr Baustellen. „In der Innen- und Linksverteidigung sind wir auch nicht so gut aufgestellt auf dem Top-Level, vor allem was die Quantität angeht.“ Selbiges gelte für den Sturm. Krösches Urteil: „Wir haben ein wenig vergessen, Spezialisten auszubilden.“

„Wir haben durch den Fokus auf mannschaftlichen Erfolg die Individualität von Spielern vergessen.“ (Markus Krösche)

In der Ausbildung gehe es mittlerweile schon im jungen Alter viel um Passspiel, um Taktik, um Formationen. „Wir haben durch unsere Trainingsmethoden und den Fokus auf mannschaftlichen Erfolg die Individualität von Spielern vergessen.“ Doch für die Qualität in der Spitze der Nationalmannschaft brauche es eben individuelle Top-Spieler auf allen Positionen.

Viele Achter, viele Probleme

„Das muss auch mal dazu führen, dass es für Innenverteidiger Situationen gibt, wo es darum geht, das Eins-gegen-eins zu verteidigen. Man hat manchmal das Gefühl, dass alle von hinten heraus Fußball spielen wollen, aber am Ende nur wenige verteidigen können. Der Fokus wird auf spielerische und fußballerische Elemente gesetzt, aber nicht auf die speziellen Fähigkeiten, die auf gewissen Positionen einfach verlangt werden“, sagte Krösche. „Verteidiger sind in erster Linie halt Verteidiger.“

Ein Problem, das sich auch durch die weiteren Mannschaftsteile zieht. „Wir haben keine richtige Sechs, keine richtige Zehn, es sind eigentlich Achter“, blickte Krösche auf die ähnlichen Spielertypen im Mittelfeld. „Und vorne fehlt uns die Nummer 9, die letztlich entscheidend ist. Wenn man schaut, welche Nationen einen guten Neuner haben, dann sind das die, die meistens auch erfolgreich sind.“

„Wir müssen im Nachwuchs weg von dem taktisch orientierten Denken und hin zur Entwicklung von Spezialisten.“ (Markus Krösche)

Der Schlüssel zu einer erfolgreichen Nationalmannschaft liege nicht in Juniorenmannschaften, die im Kollektiv stark sind: „Wir müssen im Nachwuchs weg von dem mannschaftlichen Erfolg, weg von dem taktisch orientierten Denken und hin zu individueller Förderung, zur Entwicklung von Spezialisten. Und es muss das trainiert werden, wofür einzelne Positionen auch verantwortlich sind.“

Auch bei der Eintracht setze man mittlerweile wieder mehr auf Individualität, erklärte Krösche. „Deswegen versuchen wir ja auch, so viele Spieler wie möglich, auch in jungen Jahren schon in der U 21 spielen zu lassen.“ Entsprechend sei es auch kein Zufall, dass der 16-jährige Ebu Bekir Is bereits im Profikader steht. „Das ist so, weil er auch über die U  21 die Möglichkeit hatte, im Seniorenfußball Spielpraxis zu sammeln und weil sehr viel individuell mit ihm gearbeitet wurde. Er ist ein Beispiel, und wir versuchen natürlich, die Anzahl dieser Beispiele zu erhöhen.“

Götze „kann den Jungs mitgeben, dass es nicht nur bergauf geht“

Dabei sollen den jungen Spielern auch die erfahrenen Spieler wie Robin Koch, für Krösche der aktuell „beste Innenverteidiger, den wir in Deutschland haben“, und Mario Götze helfen. Der Vertrag des Weltmeisters läuft noch bis zum nächsten Sommer, dann gibt es eine Option für ein weiteres Jahr. „Wir haben abgemacht, dass wir uns im Winter mal zusammensetzen“, berichtete der Sportvorstand.

Auch wenn er aktuell mit einer langwierigen Muskelverletzung am Oberschenkel ausfällt, ist Götzes Wert unbestritten. „Mario ist ein extrem wichtiger Bestandteil unserer Mannschaft, der in den letzten Jahren auch großen Anteil daran hatte, dass wir so erfolgreich waren.“ Neben seiner „unglaublichen“ Qualität sei er eben besonders für die Talente ein Gewinn. „Er kann den Jungs mitgeben, dass es im Leben nicht immer nur bergauf geht.“

Schon mit der Verpflichtung von Dino Toppmöller 2023 schlug die SGE den Weg ein, auf junge Spieler und deren Entwicklung zu setzen. Ein Vorhaben, das der Coach bislang „genau erfüllt“, lobte Krösche und verwies auf die Fortschritte von „etlichen“ Spielern unter dem 44-Jährigen. „Da macht er einen super Job, zum einen auf der inhaltlichen Ebene, aber auch auf der persönlichen. Die Jungs vertrauen ihm, er hat eine gute Beziehung zu ihnen. Das ist gerade für junge Spieler extrem wichtig.“

„Wir können nur unseren Job beeinflussen und den müssen wir gerade in der Nachwuchsförderung einfach viel, viel besser machen.“ (Markus Krösche)

Was allerdings auch die Eintracht, zuletzt im Fall von Hugo Ekitiké, aktuell nicht ändern kann, sind Abgänge aus der Bundesliga in die finanzstärkere Premier League. „In der Regel ist es so, dass die Top-Spieler nicht in der Bundesliga bleiben. Das hat einerseits mit den finanziellen Rahmenbedingungen zu tun, andererseits aber auch mit dem Gefühl der Spieler, in England bei dem einen oder anderen Klub, der deutlich größer ist, eher die Champions League gewinnen zu können“, ordnete Krösche ein und benannte zu wenig Spielzeit für junge Spieler als einen der Gründe für die größer werdende Lücke.

„Wir müssen uns schon die Frage stellen: Warum bilden wir nicht die Qualität aus? Warum haben wir nicht so viele Spieler, die dieses Level haben, um in jungen Jahren schon Bundesliga und vielleicht sogar international zu spielen?“ Man habe die Entwicklung in den letzten Jahren „ein bisschen verschlafen“ und den deutschen Talenten zu wenig Spielzeit gegeben, womöglich auch, weil die Qualität schon nach der Ausbildung nicht genügte. „Wir können uns nicht darüber beschweren, dass die anderen Länder mehr Geld oder einen anderen Zugang zu Kapital haben. Das können wir nicht beeinflussen. Wir können nur unseren Job beeinflussen und den müssen wir gerade in der Nachwuchsförderung einfach viel, viel besser machen als in den letzten zehn Jahren.“

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