Beim 0:0 gegen Union kehrt Topstar Florian Wirtz als Joker zurück, sorgt für etwas Schwung, kann die grundsätzlichen Probleme von Bayer 04 aber nicht lösen. Der Double-Gewinner steckt im Tief und erweckt nicht den Anschein, noch Meister werden zu können.
Meister wieder ohne Durchschlagskraft
Als Florian Wirtz in der 57. Minute zur Seitenlinie schritt, um eingewechselt zu werden, erhoben sich die Zuschauer in der BayArena von ihren Sitzen, wenn sie denn welche hatten. Nach fünfwöchiger Verletzungspause stellte die Rückkehr des Topstars die letzte verbliebene Hoffnung dar, das zähe Spiel für die Werkself zu retten, die bis dahin nur zu zwei Naja-Torchancen gekommen war. Doch jetzt mit dem Kreativdirektor sollten Spielwitz und Spaß zurückkehren, so wie es Xabi Alonso am Tag vor dem Spiel angekündigt hatte.
Nur Wirtz hellte kurzzeitig die Leverkusener Tristesse auf
Und für kurze Zeit erweckte es auch den Anschein, dass Wirtz tatsächlich wie ein Messias wirken könnte. Durch reines Hand- oder besser gesagt Fuß-Anlegen. Schon eine Minute später eröffnete er Exequiel Palacios eine Chance, der Fredrik Rönnow zu einer Parade zwang – der ersten des Berliner Keepers an diesem Nachmittag. Doch was der Wendepunkt in der kurzzeitig erwachten Arena darstellen sollte, war nur ein kurzes Strohfeuer. Denn so richtig gefährlich wurde Bayer erst wieder in der Nachspielzeit, als Mittelstürmer Patrik Schick – wieder nach Vorlage von Wirtz – unter Bedrängnis aus nächster Nähe an Rönnow scheiterte.
So lobte auch Leverkusens Trainer nach dem müden 0:0 den Joker-Auftritt des Ausnahmespielers, der natürlich noch nicht in Bestform sein konnte. „Er hatte einen guten Impact“, urteilte Xabi Alonso und fügte genauso richtig an: „Wir haben seine Qualität im letzten Drittel vermisst. Wir brauchen ihn in den nächsten vier Wochen. Es war der Plan, dass er 30 Minuten spielt. Er war ganz nahe dran, die letzte (entscheidende) Vorlage auf Patrik zu geben.“
Seit dem 0:3 in München ist bei Bayer nichts mehr, wie es war
Zwischen diesen beiden Highlight-Szenen in einer sonst tristen Partie hatte sich das Team von Xabi Alonso erneut schwer getan, Torchancen herauszuspielen, den Ball schnell laufen zu lassen, um den kompakten Berliner Defensivblock auseinander zu kombinieren. Hier mal eine unsaubere Ballannahme, da mal ein zu langsam oder ungenau gespielter Pass. Die Werkself agierte ohne Tempo und Tiefgang, flankte zudem, wenn sie sich mal über außen durchgespielt hatte, meist schlecht, trat erneut uninspiriert auf.
Wie schon beim schmeichelhaften 1:0-Sieg in Heidenheim, wie schon beim verdienten Pokal-Aus bei Drittligist Bielefeld, wie beim 0:2 gegen Bremen und den beiden Achtelfinal-Niederlagen in der Champions League gegen Bayern München. Seit dem 0:3 in der Allianz Arena ist bei Bayer nichts mehr so wie es mal war.
Von den jüngsten acht Spielen gewann Bayer nur drei
Der Double-Gewinner durchschreitet ein Tief, hat von den jüngsten acht Partien nur drei gewonnen, aber gleich vier verloren. In der Liga ließ man gegen biedere Gegner wie Bremen und Union insgesamt fünf Zähler liegen, was angesichts von sechs Punkten Rückstand auf Platz 1 klar macht, wie viel für Bayer 04 in dieser Saison noch drin gewesen wäre. Oder sogar noch drin ist?
Die Worte der Protagonisten wollen dies jedenfalls glauben machen. „Erstmal sind wir einen Punkt näher dran“, erklärte Simon Rolfes noch vor dem Münchner 2:2 am Samstagabend gegen Dortmund, das den alten Sechs-Punkte-Abstand wiederherstellte, „so lange es möglich ist, werden wir sicher nicht aufgeben.“
Die Hoffnung auf den Titel wird formuliert, aber existiert auch der Glaube?
Doch der Frage, ob er auch das Gefühl habe, dass seine Mannschaft, so wie sie derzeit spielt, wirklich Meister werden könne, wich der Geschäftsführer eher aus: „Wir haben fünf Punkte Rückstand“, verwies er nach dem Abpfiff einzig aufs Tableau, „und wir wissen, dass die Mannschaft auch anders spielen kann. Dass das heute nicht unsere beste Leistung war, da brauchen wir nicht drumherum reden. „
Die Hoffnung auf den Titel wird wohl formuliert. Wie groß der Glaube daran ist bei sechs Punkten sowie 25 Treffern Rückstand und noch fünf ausstehenden Spielen, ist eine andere Frage. Kapitän Lukas Hradecky räumt ein: „Es ist nicht einfacher geworden.“ Und auch Xabi Alonso gibt zu: „Gerade sind wir nicht euphorisch.“
„Letztes Jahr haben wir den Dreh gefunden, egal gegen wen. Dieses Jahr ist es etwas schwieriger. Warum? Weiß ich nicht.“ (Lukas Hradecky)
Was angesichts der spielerischen Probleme seines Teams nur logisch ist. Die Pass- und Chancen-Maschine kommt seit geraumer Zeit nicht mehr über ein Stottern hinaus. Und dies unter den unterschiedlichsten Voraussetzungen. Mal funktioniert Bayer wie in Bielefeld nicht unter dem generischen Pressing. Mal wie in Heidenheim, weil die Mannschaft das Halbfinal-Aus im Pokal mental nicht annähernd verdaut hatte und völlig neben den Schuhen stand. Mal, weil Union Berlin Beton anrührte und Bayer quasi nichts dagegen einfiel.
„Die Offensivstärke und das Spektakel, die uns auszeichnet haben in den zwei Jahren, die Xabi hier ist, ist in den letzten Spielen nicht da gewesen“, stellte Hradecky ernüchtert fest, „vielleicht haben wir zu viel in ihre Karten gespielt mit zu vielen Flanken, die sie gut wegverteidigt haben.“ Es herrscht Ratlosigkeit vor. Nochmal Hradecky: „Letztes Jahr haben wir den Dreh gefunden, egal gegen wen wir gespielt haben. Dieses Jahr scheint es etwas schwieriger zu sein. Warum? Weiß ich nicht.“
Rolfes und Xabi Alonso beklagen harmlosen Ballbesitz
Diese meist harmlosen hohen Hereingaben dokumentierten die Hilflosigkeit der Werkself, die eine rein optische Überlegenheit besaß, wie Xabi Alonso zugab. „Heue hatten wir Kontrolle, aber die Kontrolle war nicht genug, um im letzten Drittel mehr Qualität zu haben, mehr zu kreieren. In Heidenheim haben wir mehr Fehler gemacht, aber heute war diese Kontrolle nicht genug, dieser Ballbesitz“, sagte der Spanier, „für mich bedeutet es nichts, wenn ich 75 Prozent Ballbesitz sehe, aber nur drei Torschüsse. Ballbesitz ohne Tempowechsel, ohne etwas anders zu tun, bedeutet nichts. Diese Statistik stellt mich nicht zufrieden.“ Genauso wie das Spiel seiner Mannschaft.
Rolfes erklärte zur Chancenarmut: „Wir hatten viel Ballbesitz – von links nach rechts – aber darüber nicht die Situationen kreiert, vielleicht am Ende ein paar Flankensituationen, in denen ein bisschen Unruhe entstand und Hektik, aber sonst eigentlich wenig.“ Xabi Alonso monierte die Präsenz im Strafraum: „Wir haben viele Flanken geschlagen, aber wir waren hinter den Innenverteidigern. Wir wussten, dass sie drei kopfballstarke Innenverteidiger haben, also mussten wir gute Positionen haben, aber wir haben den Strafraum nicht gut besetzt.“
Bayer scheint in jeglicher Hinsicht der Stecker gezogen
Doch allein, dass das Thema Flanken und Strafraumbesetzung bei hohen Hereingaben einen solch großen Raum einnahm, dokumentiert den Verlust der Qualität des eigenen Spielstils, der doch eigentlich auf schnellem und flachem Kombinationsspiel bis in den Strafraum hinein basiert. Bayer scheint in jeglicher Hinsicht der Stecker gezogen.
Geht der Mannschaft in dieser Phase doch jedwede Power ab. „Im Moment ist auch unsere Energie nicht die beste für Eins-gegen-eins-Situationen, für die kleinen Kombinationen, für die es nicht so viel Raum gab“, erklärte der Trainer. Der Meister wirkt nach den Tiefschlägen der vergangenen Wochen müde. Xabi Alonso abschließend: „Das ist die Situation, die Saison ist sehr intensiv, heute hatten wir nicht diese Frische im letzten Drittel.“ In den jüngsten Partien ein Dauerzustand, der jeglichen Glauben an den Titel untergräbt – falls dieser überhaupt noch wirklich vorhanden ist.