„Vollbremsung“ der Premier League als Negativbeispiel bei der Abseitstechnologie

Mit der halbautomatischen Abseitstechnologie soll es dem VAR in dieser Saison in der 1. und 2. Liga deutlich leichter gemacht werden. Die Ref-Cam wird häufiger genutzt – und die Acht-Sekunden-Regel womöglich gar nicht so oft benötigt.

Neues zu den Regeländerungen

39 Minuten brauchte Martin Männel, um als erster Torwart in die Falle zu tappen und die neue Acht-Sekunden-Regel zu spüren zu bekommen. Seit dieser Saison dürfen die Torhüter den Ball ab dem Zeitpunkt, in dem sie das Spielgerät in der Hand kontrollieren und nicht mehr bedrängt werden, maximal acht Sekunden halten, ansonsten folgt ein Eckball.

Eigentlich eine Abschwächung zum Vorgänger, der Sechs-Sekunden-Regel, nach der es zwei Sekunden früher schon einen indirekten Freistoß hätte geben müssen. Durchgezogen wurde diese allerdings quasi nie.

Das soll mit der neuen Regel anders laufen, Assad Nouhoum setzte sie in Rostock gleich mal um. Männels Fauxpas blieb unbestraft, er hielt den Kasten seines FC Erzgebirge Aue sauber (0:0). Bislang ist der 37-Jährige ein Einzelfall, in den 37 weiteren Partien in Liga 2 und 3 wurde kein Acht-Sekunden-Vergehen geahndet. Und auch bei der Klub-WM zeigte sich bereits: Es ist eine Neuerung, die nur selten eine Rolle spielen dürfte. In den USA musste in 63 Spielen nur zweimal durchgegriffen werden.

„Die Premier League hat das großspurig angekündigt und kurz darauf die Vollbremsung gemacht.“ (Knut Kircher)

Ebenfalls bei der Klub-WM im Einsatz war die halbautomatische Abseitserkennung, die seit dieser Saison auch in der 1. und 2. Bundesliga zum Einsatz kommt. Spezialkameras erkennen den Abspielzeitpunkt sowie mögliche Abseitspositionen und sollen den VAR-Einsatz beschleunigen. Der fachliche Leiter des Projekts Videoassistent beim DFB, Jochen Drees, hatte diesen Schritt nach der WM in Katar bereits vorsichtig für die Saison 2023/24 angekündigt.

Dass es zwei weitere Saisons brauchte hat einen einfachen Grund: Der Vertrag mit der Firma TRACAB, dem Partner für die Erfassung der Positionsdaten, auf denen die Technologie aufgebaut ist, lief aus. Erst nach der Verlängerung zur Saison 2024/25 ging es daher in die konkrete Umsetzung.

Bei der Entwicklung setzte man auf Gründlichkeit und nicht auf Schnelligkeit. „Die Premier League hat das großspurig angekündigt und kurz darauf die Vollbremsung gemacht“, blickte Schiedsrichter-Chef Knut Kircher am DFB-Campus im Rahmen einer Medienschulung rund um aktuelle Schiedsrichterthemen und Regelauslegungen auf die Insel.

In der 5. Runde des FA Cups war es zu einem gescheiterten Testlauf gekommen. Weil die halbautomatische Abseitserkennung beim Spiel zwischen Bournemouth und Wolverhampton streikte, dauerte ein VAR-Check für ein Tor insgesamt acht Minuten. Beim DFB setzt man dagegen auf Gründlichkeit und ist überzeugt, dass die „SAOT“ (semi-automated offside technology) nun bereit für die 1. und 2. Liga ist.

Ref-Cam in 20 bis 50 Erst- und Zweitliga-Spielen

Nicht mehr neu ist derweil die sogenannte Ref-Cam, die bereits im Februar 2024 erstmals in der Bundesliga eingesetzt wurde und auch in der abgelaufenen Spielzeit hin und wieder am Headset des Schiedsrichters angebracht war. Künftig  wird diese häufiger Bilder aus der Schiedsrichter-Perspektive liefern.

Das IFAB und die FIFA haben den Regeltext so angepasst, dass das Tragen einer Kamera für den Schiedsrichter nun auch offiziell erlaubt ist. Außerdem wurde die Definition des Begriffs „Near-Live“ geändert. Bislang war damit gemeint, dass die Bilder kurz nach dem Spiel verbreitet werden dürfen, nun können sie schon kurz nach der entsprechenden Szene übertragen werden.

Der DFB erhofft sich in Zusammenarbeit mit der DFL besonders drei Vorteile dadurch, den Schiedsrichter mit einer Kamera am Ohr auf den Rasen zu schicken. Die Bilder sollen Verständnis dafür schaffen, was der Schiedsrichter sieht – wenngleich die Kopfrichtung, die die Kamera zeigt, nicht immer die Blickrichtung ist. Außerdem geht es um die weltweite Vermarktung, bei der die neue Perspektive für attraktive Bilder sorgen soll. Auch für Schulungszwecke könne die Ref-Cam genutzt werden. Angedacht sind in den oberen beiden Ligen 20 bis 50 Partien, in denen die Kamera genutzt werden soll.

Dialoge und Treffen für mehr Verständnis

Zum festgelegten Ablauf gehört seit dieser Saison auch der Handshake-Dialog. 70 Minuten vor dem Spiel treffen sich die Schiedsrichter mit beiden Trainern und den Kapitänen zu einem kurzen Austausch. Für den Fall, dass der Torwart der Kapitän ist, wird sein Vertreter auf dem Feld vorstellig.

„Wir erwarten nicht, dass nach einem Handshake-Dialog keine Kritik mehr kommt. Das wäre sehr blauäugig“, erklärte Kircher. Stattdessen gehe es vor allem darum, die gegenseitige „Erwartungshaltung“ im Umgang miteinander abzuklären und für Verständnis zu sorgen – auch wenn in den ersten Wochen in der 3. Liga vereinzelt Kritik an der neuen Regelung aufkam.

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Zum gegenseitigen Verständnis sollen zudem regelmäßige regionale Treffen beitragen, die die DFB Schiedsrichter gemeinsam mit dem Bund Deutscher Fußball-Lehrer und der DFL Kommission Fußball ausrichten werden. Ziel ist es, einen „Workshop-Charakter“ zu schaffen und gemeinsam über Schiedsrichterthemen zu sprechen, statt sie den Trainern im Frontalunterricht mitzugeben. Eine solche Veranstaltung gab es bereits in der vergangenen Saison in Stuttgart, das Feedback sei positiv gewesen.

Daher werde es nun an fünf Standorten in Deutschland, auf die alle Schiedsrichter und Trainer der 1. und 2. Liga verteilt sind, regelmäßige Treffen geben. So wolle man ein größeres Miteinander schaffen. Für die Schiedsrichter gehe es zudem darum, die für sie relevante Fußballkompetenz im Austausch zu erhöhen, wie Kircher erläuterte.

Das wäre auch förderlich, um weiterhin junge Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter dazuzugewinnen. Die Entwicklung in Sachen Schiri-Nachwuchs ist jedenfalls positiv: Nach jahrelangem Abbau gingen die Schiedsrichter-Zahlen beim DFB zuletzt wieder nach oben. Für die Saison 2024/25 zählt der Verband rund 61.000 aktive Unparteiische – und damit knapp 2500 mehr als noch 2023/24.

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