Bayers Abwärtstrend hält auch beim schmeichelhaften 2:2 in Freiburg an. Die Entwicklung ist alarmierend. Jetzt beklagt auch Chef-Stratege Granit Xhaka die ungeklärte Zukunft von Xabi Alonso. Die Hängepartie um den Trainer schadet diesem genauso wie dem Klub.
Rolfes spricht Leistungsverfall offen an
Die Zeit vergeht – und die eigentlich so einfach erscheinende Situation um den bei Real Madrid als Nachfolger von Carlo Ancelotti vorgesehenen Xabi Alonso wird immer diffuser. „Wir gehen davon aus, dass bis Saisonende Klarheit herrscht“, sagte Geschäftsführer Simon Rolfes am Sonntagabend nach dem schmeichelhaften 2:2 in Freiburg, bei dem Bayer 04 wie so oft in den vergangenen Wochen eine enttäuschende Leistung abgeliefert und nur aufgrund der maximalen Effizienz bei zwei Torschüssen eine Niederlage vermieden hatte.
- Bayers Kandidaten-Casting: Was Fabregas von ten Hag unterscheidet (k+)
Doch was heißt eigentlich Saisonende? Das der Bundesliga am 17. Mai? Oder das von La Liga eine Woche später? Oder bedeutet gar erst der Abschluss der in der zweiten Juni-Hälfte startenden Klub-WM, bei der Real Madrid antritt, das Saisonende? Auch am Sonntag konnte (oder wollte) Xabi Alonso keinen Zeitpunkt nennen, wann er für Klarheit sorgen kann. „Ich habe keine Idee“, so der Baske.
Wohl aus gutem Grund. Schließlich ist Ancelottis Demission in Madrid noch nicht verkündet. Bevor das Titelrennen in Spanien nicht entschieden ist, dürfte dies auf keinen Fall geschehen. Und selbst dann ist eine offizielle Entscheidung fraglich, da der Italiener, so heißt es, auch bei der Klub-WM noch an der Seitenlinie stehen möchte – falls dies alles nicht Bestandteil eines großen Pokers über Abfindungen für den Cheftrainer und seinen ein halbes Dutzend Mann starken Stab ist.
Hängepartie um Xabi Alonso schadet dem Trainer und Bayer
In der Hängepartie scheint im Moment Vieles möglich – nur keine für Bayer 04 und Trainer erquickliche, sprich schnelle Lösung. Verschwimmt doch mit jeder Woche, mit jedem Tag, mit jedem Spiel und jedem indifferenten Auftritt einer Mannschaft, die seit Monaten ihr Leistungsmaximum nur noch aus Erinnerungen kennt, dieses wunderbare Bild, das Profis und Trainer über zwei Jahre gezeichnet haben, mehr und mehr zur Unkenntlichkeit.
In Freiburg war der Auftritt über die längste Zeit erschütternd. Urteilte doch selbst der jeglicher Hysterie völlig unverdächtige Rolfes eindeutig: „Die ersten zehn Minuten würde ich noch zu dem guten Teil dazuzählen, aber danach war es gar nichts.“ Die Gemengelage aus der schon in den vergangenen Wochen verspielten letzten Titelchance und den Schwebezustand um Xabi Alonso haben diese so brillant spielen könnende Mannschaft von Spieltag für Spieltag inzwischen komplett vergrauen lassen.
Alarmierende Entwicklung seit dem 0:3 in München
Die Analyse von Rolfes, die einräumt, dass mit der 0:3-Niederlage im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League bei Bayern München Anfang März etwas kaputt gegangen ist, sagt alles. „Das war ein harter Schlag, auch mental, wovon wir uns nicht mehr … nach dem wir nicht mehr in die Verfassung gekommen sind, in der wir zuvor waren“, analysierte der Manager mit dem noch höchstmöglichen Grad an Diplomatie. Dieser Tiefschlag habe mit seinen Konsequenzen auch das Pokalendspiel gekostet, als Bayer bei Drittligist Arminia Bielefeld im Halbfinale verdient ausschied. Der Werksklub hat von den jüngsten elf Pflichtspielen nur vier gewonnen. Klar ist: Wäre Platz 2 in der Liga nicht zementiert, wäre es eine offenkundig alarmierende Entwicklung.
Doch diese ist auch so in vielerlei Hinsicht gefährlich: Weil Bayer mit jedem Punktverlust gegen einen Abstiegs- oder Europapokal-Kandidaten Reputation in der Liga verliert. Weil Bayer, wenn sich der Trend in den letzten beiden Partien gegen den BVB und in Mainz fortsetzt, mit einem total verkorksten Quartal belastet in den Sommerurlaub, aber auch in die neue Saison geht. Weil Bayer den in München eingeläuteten Abwärtstrend nicht aufhalten kann, der das eigene Selbstverständnis der Stärke Stück für Stück auffrisst.
- Genervter Xhaka gratuliert Bayern und macht Kampfansage gen München
Wenn Stratege Granit Xhaka sagt, „wir müssen wieder ein bisschen in die Realität zurück, dass wir nicht jeden Gegner über 90 Minuten dominieren können. Wir werden alles dafür tun, dass wir in den nächsten beiden Spielen nochmal Gas geben“, ist dies Teil eines Hilferufs. Hat die Wirklichkeit den inzwischen entthronten Double-Gewinner doch längst eingeholt, wie die biederen Auftritte zuletzt beim 0:0 gegen Union Berlin, dem 1:1 auf St. Pauli und jetzt in Freiburg belegen. Xabi Alonsos Statement am Sonntagabend sagt alles: „Wir wollen nicht das Gefühl haben, dass wir nicht wettbewerbsfähig sind bis zum Saisonende.“ Was für ein Satz von dem Trainer der Mannschaft, die unbesiegt durch die Vorsaison gestürmt war.
Das Warten auf die anscheinend unvermeidlich negative Nachricht zu Xabi Alonsos Zukunft belastet Klub wie Profis mehr, als es der Baske zuletzt in seinen Aussagen („In der Kabine ist das kein zu großes Thema“) glauben machen möchte. Xhaka, verlängerter Arm des Spaniers auf dem Spielfeld, erklärte jetzt in Freiburg eindeutig. „Hand aufs Herz: Für jede Mannschaft, für jeden Spieler ist es einfacher, wenn man weiß, wer nächstes Jahr an der Linie steht. Definitiv! Aber das soll keine Ausrede sein für die letzten Wochen. Der Trainer ist da, so lange er hier ist. Er hat nicht den Eindruck gemacht, dass er weg ist, sondern er hat uns genauso vorbereitet wie die letzten zwei Jahre, die ich hier bin.“
„So einen Trainer wünscht sich natürlich jede Mannschaft. Wir hatten ihn für zwei Jahre. Wir hatten eine schöne Zeit.“ (Granit Xhaka)
Doch der gefährliche Schwebezustand nervt. Zumal alle Beteiligten ohnehin erwarten, dass der Erfolgstrainer am Ende zu den Königlichen wechseln wird. So klangen Xhakas Worte bezüglich des 43-Jährigen eindeutig nach Abschied: „So einen Trainer wünscht sich natürlich jede Mannschaft. Wir hatten ihn für zwei Jahre. Ob wir ihn für ein drittes Jahr haben, ist nicht meine Aufgabe, das zu erzählen. Aber wir hatten eine schöne Zeit.“ Xhaka spricht in der Vergangenheit. Der aktuelle Zustand jedoch schadet dem Klub in der Gegenwart und womöglich auch in der Zukunft.